Menschen, die heute schon wie im Jahr 2050 leben, sind faszinierender als jeder Science-Fiction-Film. Während du dir noch überlegst, ob du dir eine Smartwatch kaufen sollst, gibt es da draußen bereits Zeitgenossen, die ihre komplette Existenz nach wissenschaftlichen Prognosen für das Jahr 2050 ausgerichtet haben. Diese bemerkenswerten Individuen trinken ausschließlich synthetische Nährstoffshakes, leben in vollständig vernetzten Wohnungen und tragen permanent Biosensoren am Körper. Klingt nach Science-Fiction? Ist es aber nicht – es ist die Realität einer wachsenden Subkultur, die Forscher als extreme Ausprägung der Zukunftsorientierung bezeichnen.
Die Verhaltenspsychologie hat für dieses Phänomen eine überraschend logische Erklärung: Diese Menschen sind nicht verrückt, sondern repräsentieren eine extreme Form dessen, was die Diffusionstheorie nach Everett Rogers als Innovatoren beschreibt. Sie nehmen wissenschaftliche Erkenntnisse über kommende Entwicklungen so ernst, dass sie präventive Verhaltensweisen entwickeln, die für Außenstehende völlig abgedreht wirken.
Warum manche Menschen die Zukunft nicht abwarten können
Was treibt jemanden dazu, sein Leben radikal umzukrempeln, basierend auf Prognosen, die erst in Jahrzehnten Realität werden könnten? Die Antwort liegt in der menschlichen Psychologie: Zukunftsorientierung ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Während die meisten von uns Zukunftsprognosen lesen und vage denken „Das wird schon irgendwie“, setzen diese Individuen konsequent um, was Forscher als wahrscheinliche Szenarien beschreiben.
Melanie Swan, die bereits 2013 die Quantified Self-Bewegung untersuchte, beschreibt ähnliche Phänomene der systematischen Selbstvermessung und Datenerfassung zur Optimierung des eigenen Lebens. Menschen, die heute schon wie 2050 leben, treiben diese Logik nur auf die Spitze: Sie optimieren nicht nur ihre Gesundheit, sondern ihre gesamte Existenz nach dem, was die Wissenschaft für die Zukunft prognostiziert.
Das berühmte Stanford-Marshmallow-Experiment von Walter Mischel bewies bereits in den 1970er Jahren, dass Menschen mit der Fähigkeit zur Belohnungsaufschiebung – also langfristigem Denken – später erfolgreicher und zufriedener sind. Diese „Zeitreisenden“ verkörpern eine Extremform dieser Fähigkeit: Sie verschieben nicht nur die Belohnung, sondern ihr ganzes Leben in eine noch ungewisse Zukunft.
So krass sieht das Leben im Jahr 2050 heute aus
Die Bandbreite dessen, was diese Future-Living-Enthusiasten praktizieren, ist beeindruckend und manchmal verstörend zugleich. Synthetische Ernährung wird für sie bereits zum Standard: Während normale Menschen gerade erst Fleischersatzprodukte ausprobieren, ernähren sich manche dieser Zukunfts-Fanatiker bereits vollständig von im Labor hergestellten Nährstoffen. Sie berufen sich auf Studien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die zeigen, dass traditionelle Landwirtschaft möglicherweise nicht ausreichen wird, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.
Totale Digitalisierung des Privatlebens gehört ebenfalls dazu: Jeder Gegenstand vernetzt, jede Körperfunktion getrackt, jede Entscheidung datenbasiert. Diese Menschen leben in einem permanenten Informationsfluss über sich selbst – von der Herzfrequenz bis zur Schlafqualität, von der Luftqualität bis zur optimalen Raumtemperatur. Die Quantified Self-Forschung zeigt, dass solche Selbstvermessung durchaus positive Effekte haben kann, aber diese Leute treiben es auf ein völlig neues Level.
Experimentelle Gentherapie und Biohacking sind weitere Bereiche, die diese Pioniere bereits heute erkunden. Noch bevor entsprechende Behandlungen für die breite Bevölkerung verfügbar sind, lassen sich einige dieser Individuen experimentellen Verfahren unterziehen, die das Altern verlangsamen oder genetische Risiken minimieren sollen. Forscher wie Zettler warnen allerdings eindringlich vor den Risiken solcher Selbstexperimente außerhalb klinischer Studien.
Die komplette Verlagerung ins Virtuelle ist ein weiteres Merkmal: Lange bevor Remote Work durch Corona normal wurde, hatten diese Menschen bereits ihre gesamte berufliche und soziale Existenz in digitale Räume verlegt. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern als bewusste Vorbereitung auf eine Zukunft, in der physische Präsenz optional wird.
Genial oder verrückt? Die Wissenschaft ist gespalten
Die Frage, ob dieses Verhalten rational oder komplett durchgeknallt ist, spaltet die Fachwelt. Einerseits zeigt die Forschung zur Zukunftsorientierung eindeutig, dass Menschen, die langfristig denken und handeln, oft erfolgreicher und zufriedener sind. Das Marshmallow-Experiment und unzählige Folgestudien beweisen: Wer heute auf etwas verzichtet, um morgen mehr zu haben, fährt meist besser.
Andererseits warnen Experten vor den Risiken einer zu extremen Zukunftsfixierung. Studien aus der Kognitionsforschung zeigen, dass Menschen, die sich zu stark auf unsichere Zukunftsszenarien fokussieren, unter chronischem Stress, Angst und sozialer Isolation leiden können. Clayton und andere Forscher dokumentieren zunehmend das Phänomen der „Zukunftsangst“ oder „Eco-Anxiety“ – die permanente Beschäftigung mit düsteren Szenarien macht krank.
Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen: Diese „Zeitreisenden“ sind weder Genies noch Verrückte, sondern Menschen, die eine natürliche menschliche Eigenschaft – die Vorbereitung auf die Zukunft – bis zum Extrem treiben.
Die dunkle Seite der Zukunftsobsession
Nicht alle Aspekte des Future-Living sind positiv oder harmlos. Verhaltenspsychologen dokumentieren zunehmend problematische Auswirkungen dieser extremen Lebensführung, die jeden zum Nachdenken bringen sollten. Soziale Isolation als Nebenwirkung ist ein häufiges Problem: Wer komplett anders lebt als sein Umfeld, verliert oft den Anschluss an normale zwischenmenschliche Beziehungen. Forscher wie Cacioppo haben bereits in den 2010er Jahren gezeigt, dass Menschen mit stark abweichenden Lebensstilen häufiger von Einsamkeit betroffen sind. Viele dieser Future-Liver berichten von dem Gefühl, von der Gesellschaft völlig entfremdet zu sein.
Chronischer Stress durch Zukunftsangst ist ein weiteres Problem: Die permanente Beschäftigung mit Zukunftsszenarien – oft düsteren – kann zu Dauerstress führen. Studien zeigen, dass Menschen, die sich zu intensiv mit Klimawandel, Pandemien oder technologischen Umbrüchen beschäftigen, unter chronischen Angstzuständen leiden können.
Paradoxe Inflexibilität tritt ebenfalls auf: Ironischerweise können Menschen, die sich zu früh auf bestimmte Zukunftsszenarien festlegen, weniger anpassungsfähig werden, wenn die Realität anders verläuft als prognostiziert. Furnham und andere Psychologen warnen vor der starren Fixierung auf spezifische Zukunftsbilder.
Gesundheitliche Risiken durch Selbstexperimente sind nicht von der Hand zu weisen: Experimentelle Behandlungen und radikale Ernährungsumstellungen ohne ausreichende wissenschaftliche Absicherung können ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben. Die Biohacking-Forschung zeigt deutlich die Gefahren unkontrollierter Selbstversuche auf.
Was du von diesen Zukunfts-Fanatikern lernen kannst
Trotz aller Extreme gibt es durchaus Aspekte des Future-Living, die auch für normale Menschen wertvoll sein können – allerdings in deutlich gemäßigter Form. Hier sind die wichtigsten Lektionen:
- Entwickle eine langfristige Perspektive: Sich regelmäßig mit wissenschaftlichen Prognosen zu beschäftigen, hilft dabei, bessere Entscheidungen zu treffen – ohne gleich das ganze Leben umzukrempeln.
- Nutze Technologie bewusst: Statt Technik zu vermeiden oder blind zu übernehmen, können wir von diesen Pionieren lernen, wie man neue Technologien gezielt und nutzbringend einsetzt.
- Denke präventiv: Viele Probleme lassen sich vermeiden, wenn man rechtzeitig handelt – sei es bei der Gesundheit, der Karriere oder den Finanzen.
- Kultiviere Experimentierfreude: Die Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren, ist laut Forschern wie Kashdan eine wertvolle Eigenschaft für beruflichen und persönlichen Erfolg.
Werden wir alle zu Future-Livern?
Die spannende Frage ist: Handelt es sich bei diesen extremen Zukunfts-Fanatikern um Vorboten einer neuen Normalität oder um eine dauerhafte Randerscheinung? Die Forschung zur Technologie-Adoption nach Rogers deutet darauf hin, dass viele Verhaltensweisen, die heute extrem erscheinen, in wenigen Jahren mainstream werden könnten.
Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass Menschen freiwillig ihr Privatleben in sozialen Netzwerken teilen oder ihr Smartphone häufiger checken als mit anderen Menschen sprechen? Die Innovatoren von damals haben vorweggenommen, was heute völlig normal ist.
Gleichzeitig zeigen Studien zur menschlichen Psychologie, dass die meisten Menschen eine natürliche Resistenz gegen zu radikale Veränderungen haben. Das sogenannte Status-Quo-Bias sorgt dafür, dass extreme Verhaltensweisen oft extrem bleiben. Samuelson und Zeckhauser haben bereits 1988 gezeigt, wie stark Menschen an gewohnten Verhaltensmustern festhalten.
Wahrscheinlich ist, dass bestimmte Elemente des Future-Living – wie die Nutzung von Gesundheitstechnologie, nachhaltige Ernährung oder digitale Arbeitsformen – allmählich in die breite Gesellschaft diffundieren, während die extremsten Ausprägungen ein Nischenhobby bleiben.
Die Zukunft ist nicht etwas, das passiert – sie ist etwas, das wir gestalten
Die Menschen, die heute schon wie im Jahr 2050 leben, sind mehr als nur skurrile Außenseiter. Sie sind ein faszinierendes Beispiel für die menschliche Fähigkeit zur Anpassung und Voraussicht. Ihre extreme Zukunftsorientierung mag übertrieben erscheinen, basiert aber auf einem zutiefst rationalen Impuls: der Vorbereitung auf das, was kommen könnte.
Diese „Zeitreisenden“ zeigen uns, dass die Zukunft nicht einfach über uns hereinbricht, sondern dass wir sie aktiv gestalten können. Sie nehmen wissenschaftliche Prognosen ernst und ziehen radikale Konsequenzen daraus. Ob sie damit richtig liegen, wird sich erst in den kommenden Jahrzehnten zeigen.
Was wir aber schon heute von ihnen lernen können, ist die Bereitschaft, über den Tellerrand zu blicken und mutige Entscheidungen zu treffen. Nicht jeder muss gleich sein ganzes Leben umkrempeln, aber ein bisschen mehr Zukunftsorientierung könnte uns allen guttun.
Am Ende sind diese Future-Living-Enthusiasten ein Spiegel unserer Zeit: In einer Welt voller Unsicherheit suchen sie nach Kontrolle durch radikale Anpassung. Sie mögen extrem sein, aber sie sind auch zutiefst menschlich in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und Vorbereitung. Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis: Die Zukunft beginnt nicht morgen – sie beginnt mit den Entscheidungen, die wir heute treffen.
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